October 03, 2001
Tudo tranquilo!
Der gute Mann verkauft leckeren gerösteten Käse am Strand von Ipanema
Die Kids der Sambaschule Mangueira
Performance von "Nos do Morro"
Veranstaltung von Petrosocial beim Ölkonzern Petrobras
am Strand von Trindade
Zum Glück folgt nach dem Sturm meist erst einmal eine Ruhephase. So war es auch bei mir in der letzten Woche: Nach erfolgreichem Abschluss der Filmvorführungen schrieb ich eine kurze Zusammenfassung und fühlte mich gut in der Gewissheit, 7 Tage bis zur Rückkehr des Institutsleiters vor mir zu haben.
Glück für mich und Glück für André, dem nunmehr zweiten Besuch aus heimatlichen Gefilden. Morgens in aller Frühe tauchte er hier auf um 3 Tage lang unsere WG zu erweitern. Ich nutzte sein Ankommen auf vortreffliche Weise, denn natürlich musste er erst einmal die Strände Rios kennen lernen, sowie einen gewissen Eindruck vom kulturellen Leben dieser Stadt erhalten. Zufälligerweise rief mich just in diesen Tagen Teté (Coopa Roca) an, um mich zu einem Event der UNESCO einzuladen. In der traditionellsten Sambaschule der Stadt (Mangueira) wurden abschließend die geförderten Projekte präsentiert. Es gab Bierchen, Häppchen, Sambamusik, Trommelaction und die mir bereits bekannte Truppe >Nós do Morro<. Sie zeigten eine Inszenierung, die binnen kürzester Zeit alle Besucher gefangen nahm:
Kinder spielen auf einem Platz, rangeln und prügeln sich – plötzlich stürmen maskierte Männer auf die Szene mit Maschinengewehren bewaffnet. Ohne Warnung schießen sie wahllos in die Menge - die Schüsse zerreißen die Luft und ehe man realisieren kann, was geschieht, liegen alle Kids leblos am Boden - ein kleiner Junge richtet sich auf und wird auf der Stelle per Genickschuss hingerichtet...
Der Schock sitzt tief und als Mütter der Kinder sich durch die Reihen drängen um den unschuldigen Tod zu beklagen, wird einem klar, das man zwar einer Inszenierung beiwohnt, dass diese Inszenierung aber direkt aus der Wirklichkeit adaptiert ist und das Gefühl, nicht zu wissen, welche der Frauen nicht wirklich ähnliches erlebt hat, lähmt die Glieder. Die Tränen in den Augen der Darsteller nach gemeinsam vorgetragenem Schlusschor waren echt und auf Andrés Gesicht spiegelten sich die Emotionen.
„Na? noch ein Häppchen?“ fragte mich Golo Gott mit einer saftigen Portion Ironie in der Stimme und da war mir klar, das bei der Truppe Profis am Werk sind. (was man im Nachhinein ja in dem Film CIDADE DE DEUS auch in Europa bewundern durfte... - Anmerkung d. Autors ca. 3 Jahre später)
Szenenwechsel: Donnerstag komme ich auf die Idee, doch mal im Institut vorbeizuschauen um nicht den Eindruck zu hinterlassen ich hätte mich abgesetzt – Bingo! Am Empfangschalter werde ich darüber in Kenntnis gesetzt, das der Direktor vor einer Stunde verfrüht aus dem urlaub zurückgekehrt ist ;-).
Tja Axel hat wieder mal den richtigen Riecher gehabt. Glücklicherweise gab’s erst einmal wichtigere Dinge zu erledigen als den Praktikanten zu bemuttern und als ich abends beim Abschiedsessen für Michael Wesely informell auf den Chef vons Janze traf, machte er einen Termin für die darauf folgende Woche aus. Also hatte ich doch noch ein Wochenende zum entspannen vor mir und glücklicherweise ein Angebot mit Michael (Fotograf) im Mietauto ein Stück Richtung Sao Paulo mitzufahren und unterwegs Stopp zu machen und zwei Tage auszuspannen – Jippie!
Das Wetter war zwar mäßig (18° C und Nieselregen) aber die Chance ließ ich mir nicht entgehen, immerhin hatte ich 6 Wochen Beton & Abgase vor der Nase und Stadtlärm in den Ohren. Wir schafften es bis Parati, einem Barockstädtchen mit touristischer Infrastruktur, von wo aus wir aber sofort am nächsten Morgen nach Trindade flohen – wunderbar!
Grüne Hügel, Sandstrand, Palmen, kleine Hütten, wenig Besucher und Meer!
Toll zu beobachten, mit welcher Wucht die Wassermassen an die Felsen schlugen, die am Ufer wie übergrosse Kieselsteine verstreut lagen.
Ein Zimmer gemietet und ab an die nächste Cabana, wo schon eine Cerveja und ein >Bobo de Camarão< (Shrimptopf) wartet. Tja, da fühlte ich mich dann doch recht gut für die Wirren der letzten Wochen entlohnt. Am Abend dann vom Meeresrauschen in den Schlaf gewiegt. Das Aufstehen am nächsten Tag fiel schwer, doch als ich den Kopf zur Tür rausstrecke, fällt mir ein Sonnenstrahl auf die Nase – Heissa! So kam ich am Sonntag also zu meinem ersten Sonnenbrand und außerdem zu der seit langen benötigten Distanz zu dieser schnellen, aufregenden Stadt Rio. Ich glaub, wenn man im Gegensatz dazu an so einem Platz wie Trindade sein Leben verbringt, dann interessiert einen nur das Wetter, der Stand des Wassers und die Anzahl der Besucher, die einem die Lebensgrundlage sichern.
So richtig konnte ich mich allerdings noch nicht auf dieses Gefühl einlassen. Vielmehr wurde das Bedürfnis größer, endlich etwas für mich zu schaffen, meinem Aufenthalt hier etwas Bleibendes abzuringen. Klingt sehr abstrakt, oder? Ende des Monats taucht hier ein befreundeter Kameramann auf , dann werden wir weiter sehen.
Als ich am Montag entspannt und von der Busfahrt gut durchgeschüttelt wieder in Rio ankam, sind mir gleich viel mehr Dinge aufgefallen, als bei meinen sonstigen Stadtfahrten. Mittlerweile verstehe ich ja auch besser, worüber sich die Leute unterhalten, was der Passagier die Kassiererin im Bus fragt und wie diese mit dem Fahrer flirtet...
Im Institut hab ich dann erst einmal erfahren, dass ich meinen Abschlussbericht für die Filmreihe noch einmal und zwar in viel detaillierterer Ausführung verfassen muss, also Schreibarbeit. Gleichzeitig läuft die Vorbereitung für das Programm des nächsten Jahres, was natürlich sehr interessant ist, weil ich jetzt mitbekomme, wie aus einer Idee unter Einbezug verschiedenster Quellen vor Ort ein echtes Projekt entsteht. Der Institutsleiter lässt mich tollerweise an sämtlichen Treffen teilnehmen und so lerne ich Sprache und Umgangsweisen besser kennen und erhalte wichtige Informationen über die Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Kulturarbeit hier vor Ort.
Teté lädt mich nebenher weiter zu interessanten gesellschaftlichen Events ein und so durfte ich im Petrobras-Building an einer Präsentation der in Zukunft geförderten soziokulturellen Projekte teilnehmen. Petrobras ist als Ölfördermonopolist nicht nur der größte Verschmutzer der Naturressorts in diesem Land sondern auch der wichtigste Kulturförderer weit und breit. Zur Zeit finden in Rio die Filmfestspiele unter seiner Obhut statt und diverse Kunst- und Kultureinrichtungen und –initiativen drucken hier das Firmenlogo des Herrschers über das schwarze Gold in ihre Programmhefte. Ohne sein Engagement würde es in diesem Land noch finsterer aussehen, aber jeder weiß, dass das bei weitem nicht ausreicht um ein ungefähres Gleichgewicht herzustellen. Es geht wohl auch eher um die Signalwirkung und um das Image des Ölspurverursachers. Aber vielleicht kommen ja dadurch auch mal die deutschen Automobilkonzerne, die hier steuerfrei und mit verschwindend geringen Gehaltskosten unsere Identifikationssymbole herstellen auf die Idee sich in dieser Richtung zu engagieren. Nicht nur die Kids aus den Favelas würden sich mit Sicherheit darüber freuen.
Então (also), das war doch mal wieder eine Menge Input für Eure hoffentlich noch nicht allzu gut gekühlten Herbstseelen. A propos Herbst: ich würde mich wirklich riesig über ein paar Herbstblätterbilder freuen!
Ich wünsche Euch wiedermal einen Güldenen, Kuscheligen und vor allem FRIEDLICHEN Herbst!
axel at October 3, 2001 03:54 PM